URSEL KESSLER

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Texte über die Malerei von Ursel Kessler



Mit der Entstehung der Fotografie mußte die Malerei sich oftmals neu definieren. Ihre ursprüngliche Aufgabe seit der Renaissance, durch ein Fenster zur Welt die Wirklichkeit zu repräsentieren, wurde obsolet. Daraufhin begann die Malerei, sich auf ihre eigene Möglichkeiten zu konzentrieren. Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde wiederholt das Ende der Malerei prophezeit. Neue Richtungen in der Kunst, wie z.B. die Konzeptkunst, die Fotografie oder die Neuen Medien drängten die Malerei zeitweise an den Rand des Kunstgeschehens, bis sie in den 80er Jahren und später mit der sogenannten Leipziger Schule ihre Rehabilitation erlebte. Schon seit geraumer Zeit hat die Malerei in einer Fülle von Stilen und Richtungen ihr Selbstbewußtsein wiedererlangt. Immer wieder gab es dennoch eine Standortbestimmung der Malerei. Was kann diese vermeintlich „altmodische“ Gattung noch leisten, im Zeitalter der übermächtigen elektronischen Medien? Eine Frage, der viele Künstler nachgehen, ist so die Befragung der Gattung selbst. Schon Gerhard Richter begann, die Dichotomie von gegenständlicher und gegenstandsloser Malerei aufzulösen. Seine in realistischer Manier gemalten Bilder nach Fotografien stehen gleichrangig neben großformatigen Abstraktionen aus den 80er Jahren.

Ursel Kessler (*1944, Bexbach)  kann auf alle diese Stationen einer Genealogie der modernen Malerei zurückblicken. Um die Trennung von gegenstandsloser und gegenständlicher Kunst zu umgehen, hat sie eine bemerkenswerte, ja ureigene Lösung gefunden. Ursel Kessler ist eine Malerin, für die das Handwerkliche an erster Stelle steht. Leinwand, Farbe und Pinselduktus bilden den Mittelpunkt. Die Künstlerin verleiht den Bildern eine sinnliche Materialität, die im Auge des Betrachters geradezu eine Wohltat auslöst. Gleichzeitig überrascht sie mit einer eigenwilligen Motivwahl, die kohärent das Werk der letzten 10 Jahre prägt. Sie malt überwiegend von Menschen Gebautes. Gemessen an ihrem künstlerischen Werdegang hat Ursel Kessler zügig zu ihrem aktuellen unverwechselbaren Stil gefunden. Sie interessiert sich nicht für das anheimelnde Schöne oder für eine arrangierte Postkartenästhetik. Vielmehr sucht sie ihre Motive im Abseitigen, im nicht Darstellungswürdigen. Moderne Architektur und Stadtplanung, Autobahnkreuze und Verkehrswege zeigen Bauten unserer heutigen westlichen Zivilisation, die gemeinhin nicht als das Wertvollste unserer Kultur betrachtet werden. Menschen oder Lebewesen sind auf den Bildern von Ursel Kessler nicht zu sehen. Jegliche Darstellung menschlichen Lebens bleibt aus. Nur die Anwesenheit von gebauter Umwelt behauptet sich als stummer Zeuge einer hochtechnologisierten Gesellschaft.

Ein unverwechselbares Stilmerkmal ihrer Werke ist die graue Farbpalette. Selbstverständlich assoziiert der Betrachter vorerst das Grau mit dem Baustoff Beton, der überwiegend für die "Bausünden" der modernen Architektur steht. Grau ist die neutrale Farbe schlechthin. Sie vermittelt Gleichgültigkeit und Emotionslosigkeit, trägt die Konnotation Tristesse und Melancholie. In der Farbtheorie wird sie als "unbunt" bezeichnet. Sie ist weder Schwarz noch Weiß. Ursel Kessler übernimmt die Farbe Grau aus ihrer zeichnerischen Tätigkeit. Mit Grau "müsse man sich nicht festlegen", wie sie es selbst formuliert. Ähnlich wie die Kubisten Anfang des 20. Jahrhunderts ihre malerischen Formexperimente in monochromer Farbgebung malten, ist die Monochromie von Ursel Kessler ebenfalls ein Bekenntnis zur Form. So sei sie hauptsächlich interessiert, „spannende Formen“ zu finden, ohne eine Wertung durch die Farbe vornehmen zu wollen. Sie male "das, was da ist." Wird der Farbe mehr Aufmerksamkeit gewidmet, ist zu erkennen, daß es sich auch in den Werken Kesslers in den wenigsten Fällen um ein "Reingrau" handelt. Vielmehr mischt die Künstlerin eine nuancenreiche Farbpalette von unterschiedlichen farbstichigen Graus, die den Bildern ihren malerischen Reiz verleihen.

Viele Bilder von Ursel Kessler weisen eine extreme Perspektive auf. Die Bauten sind aus ungewöhnlichen Ansichten zu sehen, die dem Betrachter meist verwehrt bleiben. So sind die Bilder "Grünstreifen" (2010), "Arena" (2010), "Schlaufe" (2010) und "Stadtlandschaft" (2010) aus der Vogelperspektive dargestellt. Mittels der Perspektivwahl und auch der Entfernung wird das einstmals mächtige Bauwerk oder Stadtgefüge abstrahiert. Das monumentale Fußballstadion bleibt auf der Leinwand als geometrisches Formgefüge zurück. Die Komplementärkontraste Rot und Grün beleben die Komposition. Ein grünes rechteckiges Spielfeld wird von dem Viereck mit abgerundeten Ecken, der Zuschauertribüne, umfaßt. Um das Ganze legt sich eine Kreisform als architektonisches Element. Jeder Hinweis auf die Nutzung bleibt aus. In Anlehnung an die rote Erde, die das Stadion umgibt, und an das Entstehungsdatum 2010, bleibt eine Reminiszenz an die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika nicht aus. Die ungewöhnlichen Perspektiven lassen darauf schließen, daß die Künstlerin auf fotografische Vorlagen zurückgreift. Der schier unzählbare Fundus an digitalen Bildern im Internet oder aus der Presse bietet zahlreiche Möglichkeiten für spektakuläre Ansichten ungewöhnlicher Bauwerke. Seltener greift sie auf eigene Fotografien zurück, da diese "nur ein winziger Teil sein können". Die digitalen Medien nehmen in der aktuellen Kunst ohnehin eine dominante Rolle ein. Fotografie, Film, Video und Computer werden nicht als Konkurrenz gewertet, sondern kritisch befragt und genutzt. Auf eine Identifizierung der Bauwerke kommt es der Künstlerin nicht an. Anonym und ohne örtliche Lokalisierung, sind sie auf den Bildwerken dargestellt. Gelegentlich kombiniert Ursel Kessler auch Motive aus unterschiedlichen Abbildnungen, um daraus Neues zu schaffen. Der Wahrheitsgehalt ist demnach gering und steht hinter der Formfindung.

Struktur und Form sind somit bei der Motivsuche vorherrschend. Daß sie keine negative Bewertung der modernen Architektur und Stadtplanung vornimmt, läßt sich auch daran erkennen, wie sie im gleichen Malstil Formen der Natur darstellt. Die Bilder nach der Natur "ohne Titel" (2010)  zeigen eine kreisrunde Form mit senkrechten und waagerechten Linien, die ein Gewässer vor hohem Graswuchs abbilden. Struktur steht bei den Werken "Schichtwerk" (2010) und "Korridor" (2010) im Vordergrund. In "Glasbau" (2009) kommt nochmals das starke Interesse Kesslers an der architektonischen Konstruktion zur Geltung. Diesmal jedoch schweben die Baukörper völlig isoliert im Raum. Es könnte sich hierbei auch um Modellbauten handeln. Das Bild "Nebelfahrt" (2010) beeindruckt durch eine reduzierte Pinselführung. Nur mit wenigen und raschen Strichen charakerisiert sie überzeugend die technische Eleganz eines schnittigen Katamarans, welcher über das Wasser rauscht. Der Charakter des Bildes steht dem einer Zeichnung sehr nahe und zeigt abermals die Dominanz von Form und Struktur gegenüber dem dargestellten Motiv als solchen.  

"Einkaufszentrum" (2010) verbindet informelle Maltechnik mit moderner Architektur. Das große Foyer mit dem Blick auf die Ladengalerie beherrscht die Bildkompostion. Eine durch das Bild führende Treppe verleiht Räumlichkeit, die duch einen LED-Screen auf der Leinwandoberfläche verstärkt wird. Glitzernde und verheißungsvolle Waren in den Schaufenstern werden lediglich mit kursorischen Pinselstrichen angedeutet. Die visuelle Reizüberflutung verliert sich in Unschärfe. Zahlreiche pastose Farbklänge in lockerer Pinselführung, die vom Grau dominiert werden, symbolisieren die bunte Konsumwelt. Tropfspuren von Farbe und die unbearbeitete Leinwand am rechten unteren Bildrand verweisen auf den Malprozess. Ohne ausgeführte Details, nur mit der übermächtigen Stahl-Glas Konstruktion eines architektonischen Innenraumes wird dem Betrachter der Überfluß und die Übermacht der Einkaufswelt vor Augen geführt und gleichzeitig von einer großartigen malerischen Technik gewissermaßen überlagert.

Die Sichtbarkeit des Malprozesses verweist den Betrachter stets auf die Malerei als künstlerische Gattung. Tropfspuren, Pinselduktus und unbearbeitete Stellen auf der Leinwand sind stilistische Merkmale des Informel. Auch die Fließspuren von Farbe sind als Zufall, als Kontingenz, ein strukturbildendes Element der Komposition. Mit Intensität und Ausdauer bearbeitet Ursel Kessler die Leinwände, ohne sich vom Gegenstand zu entfernen. "Stadtlandschaft" (2010) erhält seine Intensität gerade durch den deutlich sichtbaren Malprozess. Die wegen der gewählten Aufsicht ohnehin beeindruckenden Bauten eines Hochhaus-Stadtviertels sind undeutlich zu erkennen. Stellenweise stechen rote und blaue Partien aus Lack auf den Dächern der Häuser hervor. Der Lack mit seiner opaken Eigenschaft steht im Gegensatz zu dem teilweise durchlässigen Farbauftrag und betont die Zweidimensionalität der Leinwand. In diesem Bild werden die Virtuosität der Maltechnik, einer Technik die sich stellenweise verselbständigt, und das beeindruckende Motiv gegeneinander ausgelotet. Der Maler Jonathan Lasker hat folgende Worte hierfür gefunden: "Wenn in jeder Darstellung einer Landschaft [Fotografie] tatsächlich auch eine Unwahrheit enthalten sein mag, so finden wir in einer Malerei immerhin die Wahrheit ihrer natürlichen Materialität. Denn der gemalten Welt kommt eine Sinnenhaftigkeit zu, in der die materielle Welt durch Materie erfahrbar wird. Im Gegensatz zu den unkörperlichen Bildern der Fotografie bleibt die Malerei immer in die natürliche Welt der Dinge und ihrer Materialität integriert."

Ein immer wiederkehrendes Motiv im Werk Kesslers ist ihre Faszination für den maroden Charme verfallener, sich selbst überlassener Gebäude. Bereits ihre frühesten Bilder dokumentierten den Verfall lothringischer Bauernhäuser. Der Besuch der Künstlerin in der alten verfallenen Burbacher Hütte in den 90er Jahren manifestierte sich in den sogenannten "Hüttenbildern". In die Hüttenbilder integrierte die Künstlerin Fundstücke, wie beispielsweise die ehemaligen Schichtblätter der Arbeiter oder Schalt- bzw. Grundrißpläne, und schuf somit eine belebte und vom vergangenen Industriealltag beseelte Leinwand. Ursel Kessler widmete sich mit diesen Bildern den Möglichkeiten der gegenstandslosen Kunst. Sie bearbeitete den Malgrund intensiv, um diesen so lebhaft wie möglich zu gestalten. In ihren jüngsten Werken sind es die "Abrißbauten" (2010), die die Zeichen der Vergänglichkeit tragen. In dieser Serie kleinformatiger Bilder sind verlassene, unmöblierte Wohnräume von Mietshäusern zu sehen, bevor sie abgerissen werden. Die leeren Räume zeigen Spuren ihrer Bewohner. Vergänglichkeit ist allgegenwärtig, verschwunden ist das Leben. Die Vielzahl der Wohnungen wird durch die Serialität dieser Bilder visualisiert. Ähnlich in ihrer Architektur sind die Innenräume: kleine Zimmer und Fenster und niedrige Decken. Überreste von Tapeten, fleckige und mehrfarbige Wände zeugen von den verschiedenen Menschen, die in der Anonymität des Wohnblocks ihre Individualität in der Innengestaltung darstellen. Die blasse und durchscheinende Farbigkeit verleiht den Bildern zudem eine heitere Melancholie.

Die Werke "Einsturz" (2009) und "Pagode" (2009) stehen demgegenüber weniger für einen maroden Charme als vielmehr für konkrete Zerstörung und Verfall. Das erstgenannte zeigt einen eingestürzten Innenraum mit zwei Fensteröffnungen an der Stirnwand. Rotbraune und ockerfarbene Flächen als "schmutzige Farben" unterstreichen die Stimmung des Bildes.  Im rechten Teil ragt die Zimmerwand zerstört in den Raum und gibt eine Öffnung frei. Von der Decke hängen Holzpaneele senkrecht in den Raum hinunter. Der wüste und unruhige Pinselduktus unterstützt den Eindruck von gewaltsamer Zerstörung. Fließspuren der Farbe weisen auf einen dynamischen Malprozess, der durch die Perspektive verstärkt wird. Der Betrachterstandpunkt ist leicht von oben herab gewählt und der Raum auf diese Weise gewissermaßen schräg ins Bild gesetzt. Durch die Vermeidung von geraden Linien zugunsten einer diagonalen Strichführung wird die Dynamik zusätzlich hervorgehoben.

Ursel Kessler malt mit überzeugender Kraft und Vehemenz Bauten und Gebautes unserer modernen Alltagswelt. Ohne das von ihr Dargestellte zu bewerten, mit einer reduzierten Farbpalette und außergewöhnlichen Perspektiven, konzentriert sie sich ganz und gar auf Form und Struktur. Die sichtbare Verselbständigung der Malerei zeigt uns Bildwerke mit unverwechselbarer sinnlicher Materialität.

Silke Immenga

Katalog zur Ausstellung „Ursel Kessler - Von der Macht der Bauten“ im Saarländischen Künstlerhaus Saarbrücken vom 27.01.2011 bis 13.03. 2011





ARCHITEKTONISCHE RÖNTGENBILDER

Malerei von Ursel Kessler im Saarländischen Künstlerhaus

Das Saarländische Künstlerhaus zeigt neue Arbeiten der aus Bexbach stammenden Malerin Ursel Kessler, die fraglos zu den interessantesten Künstlerinnen der Großregion gehört. Ihre Bilder feiern das ästhetische Potenzial von Gebäudestrukturen und Raumanordnungen und spiegeln zugleich moderne Vanitas-Motive.

Atmosphärische Schärfe durch Abstraktion:
Die einzige wirkliche Schärfe in den Gemälden von Ursel Kessler ist die atmosphärische. Die Gründe dafür scheinen auf der Hand zu liegen (ihr Geheimnis aber ist damit noch nicht erklärt): Grau - in allen erdenklichen Mischungs- und Schattierungsverhältnissen - ist die vorherrschende Farbe in diesen Bildern, aus denen alles Lebendige entschwunden ist. Kein Baum, kein Mensch verirrt sich in diese unterkühlt wirkenden Werke, die ganz ausgefüllt scheinen vom stummen Eigenleben unserer gebauten Umwelt. Wobei das Gezeigte - Stadien, Einkaufszentren, Fabrikhallen, Lagergebäude, verwaiste Gebäude - oftmals aus markanten Perspektiven eingefangen ist: von hoch oben oder - häufiger - aus einer leichten Untersicht, die die aufragenden Gebäude umso erhabener und wuchtiger erscheinen lässt.

Kesslers Malweise findet dabei ganz eigene Ausdrucksformen für das, was man die konstruktive Schönheit dieser Gebäude und die ihrer verborgenen Morbidität nennen könnte. Begünstigt von der Stumpf- und Sprödigkeit des (Acryl-)Farbauftrages, der immer wieder Raum lässt für das schneidende Weiß der Leinwand und wiederholt Tropfspuren hinterlässt, was die schlierenhafte Erscheinung der Bauten auch im Malduktus aufgreift.

Die ganz eigene Ästhetik dieser Gemälde aber ist aus diesen drei genannten Konstitutiva - den vorherrschenden Grauwerten der Bilder, der Leblosigkeit ihrer Motive und der gezielten Sprödigkeit des Malstils - nicht alleine herzuleiten. Vielleicht könnte man Kesslers Gemälde als architektonische Röntgenbilder bezeichnen.

So wie Hans Castorp, die Hauptfigur in Thomas Manns Roman "Der Zauberberg", nachdem er eine Kerze vor das Röntgenbild der von ihm verehrten Madame Chauchat stellt, "durch die Kraft des Lichtes, das Fleisch, worin er wandelte, zersetzt, vertilgt, zu nichtigem Nebel gelöst" sieht, so scheint Ursel Kesslers Gemälden untergründig das Thema der Abwesenheit eingeschrieben. Nie wird man das Gefühl los, dass diese Bilder nicht alleine darauf abzielen, das ästhetische Potenzial von Gebäudestrukturen oder Raumanordnungen zu feiern, sondern dass dahinter (sehr verklausuliert) auch moderne Vanitas-Motive aufscheinen.

20 Arbeiten Kesslers (darunter 24 Acryl-Zeichnungen, die als Ensemble und Fries funktionieren) aus den Jahren 2009 und 2010, verteilt auf drei Räume, sind im Künstlerhaus zu sehen. Insbesondere von den Großformaten geht trotz flächigen, pastosen Farbauftrags enorme Tiefenwirkung aus. Ein Gemälde wie "Im Morgenlicht" etwa deutet ein auf Pfeilern ruhendes, verlassenes Verwaltungsgebäude an. Verwischungen und Übermalungen verhindern eine genauere Identifizierung. Umso mehr fördert diese Abstraktion den architektonischen Reiz moderner Kolossalbauten zu Tage: das zugleich Abweisende und Anziehende, das von ihnen ausgeht. Die Sogkraft der Weißfläche zur Linken, die dem Bild nicht zuletzt Tiefe gibt, scheint die Umgebungsfarbe förmlich aufzusaugen. Verlassenheit ist auch das Oberthema von Kesslers Kleinformatserie "Abrissbauten", die leere Innenräume zeigt. Als Serie (im Katalog umfassender als vor Ort zu sehen) wirkt sie aufgrund der unterschiedlichen malerischen Ausdrucksweisen nicht ganz konsistent.

Beitrag vom: 03.02.2011, 00:04
Von SZ-Redakteur Christoph Schreiner





Mit dem Kunstpreis 2007 der Sparkasse Karlsruhe zeichnet die Jury (Prof. Dr. Götz Adriani, Vorstand der Kunsthalle Tübingen; Prof. Dr. Erika Rödiger-Diruf, Direktorin der Städtischen Galerie Karlsruhe; Prof. Dr. Klaus Schrenk, Direktor der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe; Prof. Günther Wirth, Kunstkritiker Stuttgart) Frau  Ursel Kessler für das Gemälde „Fassade“ aus. In der eigenständig wirkenden Malerei gelingt es der Künstlerin mit der Partie einer grauen Hausfassade sofort bei dem Betrachter das Bild einer Großbebauung freizusetzen, wie wir sie in allen Städten vorfinden. Die horizontale Anordnung der Komposition steht für die Ansammlung eines aneinander gereihten Haustyps, der möglicherweise sogar eine gewisse Variation aufweist, doch als Ganzes die Monotonie des architektonischen Zweckbaus betont. Die Künstlerin durchbricht die einheitliche Fassade des leicht heruntergekommenen Gebäudes, indem sie die unterschiedliche Gestaltung der Fensterflächen zur Rhythmisierung der Gesamtfläche einsetzt. Mal erleben wir eine Andeutung von Gardinen, mal werden die Fenster durch breite Pinselführung mit Schwarz gleichsam abgedunkelt, ein anderes Mal treten die Rahmen der Fenster in den Vordergrund. Die flächendeckend an der Fassade sichtbaren Geräte für Air Condition zeugen darüber hinaus für den in die Jahre gekommenen Bau.
Der Künstlerin gelingt mit vielschichtigen Abstufungen von Grau, Schwarz und Weiß eine eindrucksvolle Spannung der Bildoberfläche, die den konzeptuellen Ansatz der Arbeit verstärkt. In diesem Bild sind die Menschen, die in den Gebäuden leben, abwesend. Der sichtbare Nuancenreichtum der Grauwerte deutet im übertragenen Sinne auf die Vielfalt der Persönlichkeiten hin, die hinter der Fassade die unterschiedlichen Wohnungen mit Leben erfüllen. In der faktischen Darstellung eines architektonischen Gebildes scheint eine gesellschaftliche Struktur auf, die als Wirklichkeit auch den Betrachter berührt. In diesem Zusammenhang hat die Jury auch überzeugt, dass die Künstlerin auf einen glatten, malerischen Duktus verzichtet, und in der Gebrochenheit ihrer Farbpalette und der bewussten Sprödigkeit der Fassadengestaltung die Komposition ausschnitthaft zu einem Gleichnis unserer Wirklichkeit gestaltet.





Konsequenz und Klarheit bilden das begriffliche Fundament, auf das sich die neuen Arbeiten von Ursel Kessler stützen. Ihre künstlerische Recherche setzt bei der präzisen Auswahl eines Fotos an, motivisch angesiedelt im weiten Feld der Architektur, in dem Raum zwischen Grün und Blau, zwischen Erde und Himmel. Ursel Kessler transferiert die Fotographie sehr eindeutig und schlüssig in eine andere mediale Sphäre. Sie reflektiert die Realität und zeigt uns die mögliche Umsetzung mit den grenzenlosen Mitteln der Malerei. Ungeschönt und spröde, entschlossen und zügig treibt sie den Malakt voran von der zarten Lineatur zur versiegelten Großfläche bis hin zur mathematischen Bildlösung.
Auf diesem Weg, wo sich Spontaneität und Kontrolle abwechseln, berühren sich Existenz und Transzendenz.
Das Bild „BÜHNE“ entwickelt sich aus einem Foto. das die Abbildung eines Geschäftes mit vorgebautem Schaufenster zeigt. Das Objekt, eher heruntergekommen, vielleicht 50er Jahre, vielleicht ein architektonisches Relikt aus DDR Zeiten. Die beinahe quadratische Vitrinenfläche, die fast das ganze Bild einnimmt, wird nun von der Malerin in eine mit weißer Ölfarbe und Lack strukturierte Fläche transponiert. Die restliche Umgebung gestische Malerei,  von deren Geschwindigkeit unzählige Farbschlieren und Tropfen Aufschluss geben. Diese Radikalität der Umsetzung gehört zu den markanten Bildstrategien der Künstlerin, denn letztendlich führt sie uns durch diese Konfrontation geradewegs zu dem Punkt zurück, an dem wir uns selbst physisch befinden.

Ihre neuesten Bildschöpfungen sind so von einer kühlen, distanzierten Aura umgeben, eine poetische Leere verschafft sich vehement Raum. Dieser Purismus, der sich allein durch die Absenz des Menschen in den Bildern verstärkt, lässt diese Malerei in eine komplexe und klare Bildsprache übergehen und die konzeptuellen und planerischen Qualitäten wirken.
Als Malerin tarnt sie ihre vielschichtige Farbpalette durch das Beimischen der Farben weiß und schwarz. So entstehen ganz unverhofft spektakuläre Grauwerte, deren Nuancenreichtum es neu zu entdecken gilt.

Diese Malerei führt in die physische Wirklichkeit zurück, den tatsächlichen Raum, den wir alle bewohnen und der uns nicht fremd ist. Es sind reale Dinge in einer realen Welt, die sich vor uns ereignen. Doch gleichzeitig verweisen die Motive auf andere Dinge, bieten dir Bilder, die die Vorstellungskraft anregen. Sie handeln von der physischen Realität und der Illusion zugleich, doch die Malerei gibt dir den Körper, deinen eigenen Körper.